Zwischen Fürsorge und Eigensorge

Mit rund 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die BruderhausDiakonie in Reutlingen ein wichtiger Akteur in der sozialen Arbeit. Welche Herausforderungen sieht die nach den Grundsätzen des evangelischen Theologen Gustav Werner aufgebaute Organisation und welche Weichenstellungen wünscht sie sich von der Politik? Beim Besuch der Landtagsabgeordneten Dr. Timm Kern und Rudi Fischer (beide FDP) in der BruderhausDiakonie wurden diese Fragen intensiv diskutiert.
Empfangen wurden die Abgeordneten von den beiden Vorstandsmitgliedern Prof. Dr. Bernhard Mutschler, Theologischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender, und Andreas Lingk, Kaufmännischer Vorstand, sowie der Leiterin Stiftungsmanagement Kommunikation Sabine Steininger. Im Gespräch reichte das Themenspektrum von Bürokratie im Sozialbereich über die Zukunft der Pflege bis zu grundsätzlichen Fragen des Verhältnisses von Fürsorge und Eigensorge in der Gesellschaft.
Dabei betonte Andreas Lingk, dass die Digitalisierung dazu beitragen könne, Bürokratie im Sozialbereich erheblich zu reduzieren. So müssen seiner Meinung nach die Leistungen und ihre Abrechnung digitalisiert werden, um eine zeitnahe Kommunikation zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern zu gewährleisten. Erste vielversprechende Projekte dazu hätten durch die Corona-Pandemie einen Rückschlag erlitten: „Wie wir aktuell in diesem Bereich mit den Landkreisen vorankommen, ist unbefriedigend, weil zu zögerlich“, erklärte er den Gästen aus dem Landtag.
Der FDP-Abgeordnete Rudi Fischer sitzt im Sozialausschuss des Landtags. Aus den dortigen Beratungen zum Bundesteilhabegesetz wusste er einiges zum Thema Überregulierung zu berichten: „Aktuell gibt es dazu mehr als 50 verschiedene Formulare. Das müssen wir reduzieren und vereinheitlichen. Drei bis sieben Formulare – aber besser drei als sieben – reichen.“ Hier müsse man deutlich schneller in die Umsetzung kommen.
Auch der Pflegebereich, in dem die BruderhausDiakonie sehr aktiv ist, ist von vielen Regularien betroffen. Daneben gibt es viele weitere Herausforderungen wie den Arbeitskräftemangel im Pflegebereich und die älter werdende Gesellschaft. Dr. Timm Kern plädierte für mehr Aufklärung zur privaten Vorsorge: „Das staatliche System wird es nicht allein lösen können. Rente und Pflege sind Dinge, die vorhersehbar auf uns als Menschen zukommen. Insofern ist die eigene Vorsorge etwas, was mehr in den Mittelpunkt rücken muss.“ So müsse es durch Entlastungen für so viele Menschen wie möglich leistbar werden, möglichst auch eigenen Vermögensaufbau zu betreiben. Im Bereich der Rente sei das FDP-Konzept der Aktienrente eine mögliche Lösung für die Zukunft.
Das führte die Gesprächspartner zu grundlegenden Überlegungen: Wie muss das Verhältnis zwischen Fürsorge und Eigensorge aussehen? Für Prof. Dr. Bernhard Mutschler eine Frage der richtigen Balance: „Wir dürfen nicht diejenigen aus dem Blick verlieren, die es sich nicht leisten können, sich selbst abzusichern. Gleichzeitig ist klar: Es kann keine Vollkasko-Mentalität mit der Erwartungshaltung geben, dass der Staat uns gegen jedes Risiko absichern kann“. Rudi Fischer plädierte vor diesem Hintergrund dafür, Gelder zielgerichtet und effizient einzusetzen statt nach dem „Gießkannenprinzip“.
Gustav Werner, Gründer der BruderhausDiakonie, hatte einst gesagt: „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert“. Diesem Motto gemäß waren sich die Gesprächspartner einig: Im Sozialbereich müssen Reformen schneller und besser umgesetzt werden.