Oft mache ich mir Gedanken über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dank des Internets wird die Welt tatsächlich zum „Dorf“ – mit scheinbar unbegrenzten Chancen für unsere jungen Menschen.

Reicht es aber für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aus, wenn die Mitglieder dieser Gesellschaft möglichst viele Wahlmöglichkeiten haben? Der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf war der Überzeugung, dass es für die Stabilität einer Gesellschaft unverzichtbar sei, dass es neben diesen Wahlchancen auch klare Wertvorstellungen und Institutionen geben müsse. Er nennt diese „Ligaturen“.

Vor diesem Hintergrund möchte ich auf eine bedenkliche Entwicklung im ländlichen Raum hinweisen, nämlich das Sterben von Gasthäusern und dem damit verbundenen Wegfall öffentlicher Treffpunkte.

Für Baden-Württemberg bezifferte das Statistische Landesamt 2019 den Rückgang der angemeldeten Gaststätten von 2008 bis 2017 in ländlichen Kreisen zwischen 10 und 25 Prozent. Die Corona-Auswirkungen verstärken diesen negativen Trend möglicherweise.

Die Ursachen für das Gaststätten-Sterben sind vielfältig: Löhne, Arbeitszeiten, schwierige Personalgewinnung uvm. In manchen Orten versuchen Vereinsheime die Funktion der Gaststätten zu ersetzen. Oft sind es wenige treue Ehrenamtliche, die Woche für Woche die Bewirtung übernehmen. Ihr Einsatz ist von enormer Bedeutung – weit über den eigenen Verein hinaus. Aber Ehrenamt hat Grenzen. Deshalb muss unternehmerisches Engagement politisch durch einen nachvollziehbaren, praxisnahen Rahmen ermöglicht werden. Auch die Zuverdienstgrenzen sollten endlich so angepasst werden, dass von jeder Arbeitsstunde mehr Nettolohn übrigbleibt.

In öffentlichen Räumen begegnen sich Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen: Hier tauschen sie Argumente aus; die hier stattfindenden Diskussionen über „Gott und die Welt“ sind frische Luft für die Lungen unserer Demokratie. Auch Stammtische sind Orte, an denen in der Sache heftig gestritten wird. Dieser persönliche Austausch ist nach meinem Verständnis deutlich gewinnbringender als eine entpersonalisierte Diskussion in den sozialen Medien. Vermutlich hat der rauere, gesellschaftliche Umgang auch mit der zunehmenden Verlagerung der öffentlichen Debatte in den anonymen, digitalen Raum zu tun.

Mir ist es ein Anliegen, dass wir uns alle für intakte öffentliche Räume einsetzen: durch unseren Besuch in den Gaststätten oder durch Versammlungen und Feste, die mit Vereinen, Firmen oder Parteien dort durchgeführt werden.

Vielleicht führt der Corona-bedingte Rückzug ins Private dazu, dass wir die Bedeutung öffentlicher Räume neu zu schätzen lernen. Es wäre eine gute Sache, auch für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.