Die Fragen stellte Dr. Timm Kern.
Als PDF-Dokument: Interview mit Judith Skudelny MdB
Welche Themen müssen aus Deiner und aus der Sicht von Frauen im Bundestag stärker in den Blick genommen werden?
Ich glaube, dass weniger die Auswahl der Themen entscheidend ist als ihre Intonierung, also wie man formuliert und argumentiert. Frauen interessieren sich für alle Themenbereiche – von Finanzen bis Verbraucherschutz. Ich denke aber, dass sie sich im Vergleich zu Männern stärker an der eigenen Lebenswirklichkeit orientieren und eher wissen wollen, was das einzelne Thema für sie und ihr Umfeld bedeutet.
Manchmal konnte man hören, die FDP sei eine „Männer-dominierte-Partei.“ Was sagst Du dazu und welches Angebot macht die FDP für Frauen?
Wir haben eine nicht unbedeutende Anzahl sehr erfolgreicher, sehr starker und sehr durchsetzungsfähiger Frauen in unserer Partei. Und diese wirken auch an sehr entscheidenden und einflussreichen Stellen. Natürlich kann man das in einem stark zugespitzten Wahlkampf mit einem Mann an der Spitze mal aus dem Blick verlieren – und das obwohl Frauen wie Katja Suding, Lencke Steiner und Nicola Beer durchaus bundesweit bekannt sind. Aber vielleicht könnten wir unsere weibliche Seite künftig noch mehr ins Schaufenster stellen.
Frauenqoute: ja oder nein? Warum?
Ich bin kein Freund jeglicher Quoten, im Einzelfall wirken sie immer unfair.
Wir sollten stattdessen die gesellschaftliche Voraussetzung und Akzeptanz schaffen, dass Frauen Beruf und Familie besser miteinander vereinen können.
Zudem sollten wir aufhören, das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausschließlich auf Frauen zu fokussieren. Auch der Mann kann der Frau den Rücken freihalten, damit sie Karriere macht, nicht nur umgekehrt. Wenn wir Frauen eine Karriere ermöglichen wollen, brauchen wir noch viel mehr weibliche und männliche Vorbilder, die zeigen, wie erfolgreich auch eine „Erziehungspartnerschaft“ sein kann. Außerdem sollten wir vor allem auch im ländlichen Bereich die Wahlmöglichkeiten der Eltern verbessern, hier gibt es noch viel Luft nach oben, um Familien das Leben leichter zu machen.
Der Anteil weiblicher Abgeordneter ist im jetzigen Bundestag auf 30,7 Prozent gesunken. Mit 18 Frauen hat die neue FDP-Bundestagsfraktion nur einen Frauenanteil von 22,5 Prozent. Was sind aus Deiner Sicht die Gründe, dass weniger Frauen als Männer im Politikbetrieb aktiv sind und wie könnte man dem entgegenwirken?
Politik wird gemacht, wenn andere Leute Freizeit haben – abends und am Wochenende. Damit ist dieser Beruf besonders belastend für Familien. Neben der bereits angesprochenen stärkeren Unterstützung durch die Männer sollten wir in der politischen Welt auch ein Stück weg von der Präsenzkultur kommen und Verständnis dafür zeigen, wenn jemand eben nicht auf allen Hochzeiten tanzt. Wir wollen, dass Menschen mit Familie, mit Hobbies, mit einem Leben, Politik machen. Die kennen dann auch besser die Bedürfnisse der Leute. Aber dafür müssen wir ihnen auch die notwendige Zeit geben, Mensch zu sein. Dies ist aktuell nur bedingt möglich. Ich glaube daher, dass viele Frauen die Politik nicht als attraktive Möglichkeit sehen, sich einzubringen.
Du warst bereits in der vorletzten Legislaturperiode Bundestagsabgeordnete und damals deutschlandweit in den Schlagzeilen, weil Du Dein vier Monate altes Baby in den Plenarsaal mitgenommen hast – eine Premiere im Deutschen Bundestag. Wie waren die Reaktionen damals und wie kinder- bzw. familienfreundlich ist das politische Arbeitsumfeld?
Die Reaktionen fielen komplett unterschiedlich aus. Die einen waren begeistert, die anderen fanden es furchtbar und nicht wenige haben mir Erziehungsratschläge gegeben. Sehr spannend fand ich auch die automatische Annahme vieler, ich sei alleinerziehend. Generell ist das politische Umfeld überhaupt nicht auf Kinder eingestellt. Ich hatte den Vorteil, dass es sich um mein zweites Kind handelte. Das gab mir das notwendige Selbstbewusstsein, mit meinem Kind und der Situation gut umzugehen.
Du bist nun wieder in den Bundestag eingezogen. Hat sich seither etwas verändert?
Meine Kinder bekommen meine politische Arbeit jetzt deutlich bewusster mit als früher. Sie bekommen auch deutlicher mit, wenn ich nicht zu Hause bin. Daher haben wir uns nach sorgfältiger Überlegung zwei Katzen zugelegt, damit sie zuhause auf gute Freunde zählen können, auch wenn ich in Berlin bin. Ansonsten hat sich nichts grundlegend verändert. Mein Mann hat mir schon während meiner ersten Legislaturperiode als Abgeordnete den Rücken freigehalten und ich habe damals gelernt: Männer erziehen anders, aber nicht schlechter.
Auch heute trifft man Dich oft auf Parteiveranstaltungen mit Deinen Kindern. Ist es für Dich selbstverständlich, dass Kinder bei politischen Terminen mit dabei sind und was sagen Deine mittlerweile älteren Kinder dazu? Wie schaffst Du es, Familie, Job als Insolvenzanwältin, Abgeordnetenmandat und die Tätigkeit als Generalsekretärin der FDP Baden-Württemberg unter einen Hut zu bringen? (Diese Frage würde ich natürlich auch einem Mann stellen!)
Mit zeitlichem Jonglieren, viel Humor und guten Nerven. Teilweise streite ich mit meinem Mann über die Prioritätensetzung. Was ist wichtiger – meine Mitgliederversammlung der FDP oder seine Mitgliederversammlung im Sportverein? Solche Debatten muss man manchmal führen können. Einfach ist es nicht immer, aber machbar. Meine Kinder nehmen die politischen Termine sehr unterschiedlich wahr. Während mein Älterer nur gerne dabei ist, wenn er eine Aufgabe übernehmen kann, genießt meine Kleine vor allem den Rummel um sie herum.
Was würdest Du jungen Frauen und Mädchen gerne mit auf den Weg geben?
Seid selbstbewusst und entscheidet euch bewusst für den Weg, den ihr gehen wollt. Alles ist möglich, macht euch nicht so viele Gedanken – außer bei der Auswahl eures Partners.
Die #metoo -Debatte in den letzten Monaten hat erneut das Thema Sexismus im Alltag in den öffentlichen Fokus gerückt. Wie sind Deine Erfahrungen in diesem Punkt und wie denkst Du, kann/muss man dem Alltagssexismus entgegentreten?
Ich halte die Debatte für sehr wichtig. Sie zeigt, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Bei Sexismus im Alltag ist die Lösung leider nicht so einfach. Wie bei allen anderen Fällen von Diskriminierung dürfen wir als offene und tolerante Gesellschaft verbale Attacken auf Frauen nicht dulden. Die #MeToo-Debatte hat gezeigt, dass fast jede Frau schon mindestens einmal so etwas erlebt hat. Die meisten Frauen denken, dass dieser Alltagssexismus nicht so schlimm ist und lernen damit umzugehen. Die Summe der Vorfälle zeigt jedoch das Ausmaß des Problems. Jeder, der einen solchen Fall wahrnimmt, ist gefordert, korrigierend einzugreifen und die passende Antwort auf diese verbalen Äußerungen zu geben. Damit spreche ich sowohl die starken und schlagfertigen Männer als auch Frauen an: Wir müssen gerade die schützen, die sich vielleicht nicht selbst wehren können. Das erfordert Mut. Vor allem weil solche Dinge gerne eine Gruppendynamik entwickeln und in bestimmten männerlastig Umfeldern ein unüberlegter Spruch leichter über die Lippen geht. Sich dann als Einzelner gegen vielleicht zehn lachende Männer zu stellen, erfordert Courage. Aber nur so sorgen wir dafür, dass Frauen sich in jedem Umfeld wohlfühlen können.
Das Interview entstand im Rahme des neuen Newsletters, den Sie hier downloaden können: Newsletter von Dr. Timm Kern 01_2018