Die neue grün-rote Landesregierung will die verbindliche Grundschulempfehlung abschaffen. Dazu habe ich im Landtag für die FDP/DVP-Fraktion Stellung bezogen:

„Liberale Bildungspolitik denkt vom Individuum her. Die FDP will, dass nicht ein Kind während seines Bildungsweges zurückgelassen wird. Jedem Kind soll ein Höchstmaß an Chancen eingeräumt werden. Ich denke, dass mir in diesem Hohen Haus bei diesen liberalen Grundüberzeugungen niemand widersprechen wird.

Als nächstes möchte ich eine Frage stellen: Welche Konsequenzen hat es für einen jungen Menschen, wenn er auf einer weitergehenden Schule seinen Bildungsweg nach der Grundschule weitergeht und alle Beteiligten nach wenigen Wochen oder Monaten feststellen, dass eine andere Schulart den Talenten und der Entwicklungsstufe des Kindes besser geeignet gewesen wäre?

Die Folgen sind in allererster Linie für das Kind verheerend: oft wiederkehrende Frusterfahrungen; Lernen, Schule, Lehrerinnen und Lehrer – dies alles wird für Monate, in manchen Fällen vielleicht sogar für ein oder zwei Jahre mit intensiven, schmerzhaften Frust- und Angstgefühlen in Verbindung gebracht. Ich glaube, dass wir uns auch in dieser Analyse weitgehend einig sind.

Und jetzt müssen wir die Frage diskutieren, ob die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung diese schlimmen Frustrationserfahrungen bei unseren Schülerinnen und Schülern eher verhindert oder eher befördert.

Wir sind uns vielleicht auch einig darin, dass die verbindliche Grundschulempfehlung umstritten ist. Bei manchen Zeitgenossen hat sie den Ruf, ein „Grundschulabitur“ zu sein – das ist natürlich weder inhaltlich noch formal richtig und ich bitte Sie alle hier im Hause, entsprechende Aufklärung zu betreiben und die Grundschulempfehlung nicht schlechtzureden.

Es handelt sich bei der Grundschulempfehlung um eine Entscheidung der Klassenkonferenz, die erst in einem Beratungsverfahren und erst, wenn hier kein Einvernehmen zwischen Lehrern und Eltern hergestellt werden konnte, in einer Aufnahmeprüfung überprüft werden kann.

Ich finde es sehr gut nachvollziehbar, dass eine große Mehrheit der Eltern eine Gymnasialempfehlung für ihr Kind wünscht. Nachvollziehbar ist das vor allem deshalb, weil sie den weiteren Bildungsweg ihrer Kinder offen halten wollen. Deshalb ist der Grundsatz „Kein Abschluss ohne Anschluss“ entscheidend. Wichtig zu bemerken ist: 50% der Schüler mit Hochschulzugangsberechtigung in Baden-Württemberg kommen eben  nicht vom allgemein bildenden Gymnasium. Auch hier sollte die Regierung in erster Linie für Aufklärung statt für Verunsicherung sorgen.

Ich meine: Entscheidend für die Bildungschancen eines Kindes ist nicht die verbindliche Grundschulempfehlung, sondern entscheidend für den erfolgreichen Bildungsweg ist ein Schulsystem, das ausdifferenziert  ist, das für jedes Kind maßgeschneidert ist. Wir Liberale wollen den Maßanzug im baden-württembergischen Bildungssystem und nicht die Klamotten von der Stange.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, denken von der Struktur des Bildungssystems her – wir Liberale denken vom Menschen her. Sie wollen die Einheitsschule, den Einheitslehrer, weil sie vom Modell des Einheitsschülers ausgehen. Die verbindliche Grundschulempfehlung wollen Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen also vor allem deshalb abschaffen, weil sie nicht in Ihr Weltbild passt.

Schlimm daran ist weniger die Symbolpolitik als solche, sondern dass sie leichtfertig gemacht wird, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Sie schaffen die verbindliche Grundschulempfehlung ab, ohne Vorkehrungen für die weiterführenden Schulen zu treffen. Wie sollen Ihrer Meinung nach Schulen damit umgehen, wenn Sie für einen plötzlichen Ansturm nicht genügend Kapazitäten haben? Sollen dann Schüler abgewiesen werden, und wo sollen diese unterkommen? Und was ist mit den Schülern, die ihre Schule nach einiger Zeit wieder verlassen müssen, weil sie dort nicht zurecht kamen? Mit Verlaub, Frau Ministerin, verantwortungsvolle Bildungspolitik stelle ich mir anders vor.

Und warum handeln Sie in dieser Frage so überstürzt, ohne beispielsweise Alternativen zu einer vollständigen Abschaffung der Grundschulempfehlung zu prüfen? Man könnte beispielsweise die Schulen in ihrer Eigenverantwortung dahingehend stärken, dass sie in einem selbst gewählten Aufnahmeverfahren einen Schüler auch ohne zureichende Empfehlung aufnehmen, wenn sie zur Auffassung gelangt sind, der Schüler könnte bei ihnen den angestrebten Abschluss schaffen. (Die Aufnahme wäre dann selbstverständlich nicht auf andere Schulen übertragbar). Oder was wäre mit einer Überprüfung der Grundschulempfehlung zum Beispiel am Ende von Klasse 6? Hier könnten zusätzliche Chancen eröffnet werden, ohne das Bestehende umzustürzen.

Der Zusammenhang zwischen Ihrem Vorstoß zur Abschaffung der Grundschulempfehlung und Ihrem Vorhaben der Gemeinschaftsschule ist allzu offensichtlich. Das kann keine sachbezogene Politik sein. Ich appelliere an Sie: Nehmen Sie von diesem Schnellschuss Abstand und prüfen Sie sorgfältig Konsequenzen und Alternativen. Das Bildungswesen verträgt keine Schnellschüsse, sondern braucht verlässliche Rahmenbedingungen.

Zu unserem Antrag: Leider ist auch hier die Antwort sehr dünn ausgefallen. Offensichtlich ist Ihnen selbst noch unklar, wie das „qualifizierte Beratungsverfahren“ aussehen soll, das an die Stelle der Grundschulempfehlung treten soll. Auch Ihre Antwort auf den Beschlussvorschlag, die Grundschulempfehlung zu erhalten, ist zwar grundsätzlich erfreulich, aber kaum greifbar. Wir lassen deshalb den Antrag in den Bildungsausschuss verweisen, um damit einen Beitrag zu einer fundierteren Auseinandersetzung mit dieser für unser Bildungswesen so entscheidenden Materie zu leisten.“