Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
als ich vor 2 Jahren als Gymnasiallehrer neu in den ba-wü. Landtag gewählt wurde, hätte ich es mir nicht im Traum vorstellen können, dass man das erfolgreichste Bildungssystem in der BRD in einem derart atemberaubenden Tempo vor die Wand fahren könnte.
Wo stand das ba-wü Schulsystem im Jahr 2011, im Jahr des Regierungswechsels?
— Niedrigste Sitzenbleiberquote aller Bundesländer.
— Niedrigste Schulabbrecherquote aller Bundesländer
— Niedrigste Jugendarbeitslosigkeit aller Bundesländer
Das war die Übergabebilanz nach 15 Jahren erfolgreicher Bildungspolitik von der christlich-liberalen Koalition an Sie von Grün-Rot. An diesen harten Fakten und Zahlen müssen Sie sich messen lassen, und dabei hilft Ihnen auch nicht das manchmal smarte, manchmal aber auch sehr dünn-häutige Auftreten Ihres neuen Kultusministers, insbesondere dann, wenn er inhaltlich kritisiert wird.
Wie ist nun die Situation in der ba-wü Bildungslandschaft, nachdem Sie seit zwei Jahren hierfür die alleinige Verantwortung tragen?
Bespielhaft möchte ich einen zentralen Aspekt herausnehmen, nämlich die von Ihnen völlig überstürzte, miserabel vorbereitete und im Grunde unnötige Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung.
Denn die Konsequenzen dieses Schnellschusses waren und sind für die Betroffenen verheerend.
Mit der Abschaffung der Verbindlichkeit haben Sie die schwierige Situation der vom demografischen Wandel betroffenen Schulstandorte ohne Not mutwillig verschärft. Und das haben Sie, Herr Minister, ja gerade eben selbst auch zugegeben.
Mit der Abschaffung wollten Sie in einem ersten Schritt die Haupt- und Werkrealschulen als vermeintlich am leichtesten zu schleifende Bausteine des gegliederten Schulwesens kaputtmachen. Und wie wir heute wissen, sind Sie Ihrem Ziel leider erschreckend nahe gekommen.
Die GEW schreibt dazu: „Trotz hervorragender pädagogischer Konzepte, trotz der von niemandem bestrittenen hervorragenden Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der päd. Assistentinnen und Assistenten, der Schulsozialarbeit, der Jugendbegleiterinnen und Jugendbegleiter sowie Lehrbeauftragten gingen die Anmeldezahlen an den Haupt- und Werkrealschulen von 23.362 auf 14.556 zurück, ein Minus von 8.800 oder 37%… Im Vergleich zum Schuljahr 2010/11 schrumpften die Schülerzahlen um fast 50%.“
Das sind die Folgen Ihrer schlechten Bildungspolitik, dafür tragen Sie die Verantwortung.
Mit dem nun von Ihnen heute vorgelegten Konzept der Regionalen Schulentwicklung versuchen Sie nun noch zu retten, was zu retten ist, um die von Ihnen losgetretene Lawine des Schulsterbens wenigestens ein bisschen zu kanalisieren.
Dabei möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen:
Dieses Schulentwicklungskonzept hätte es gebraucht, bevor Sie daran gingen, die ba-wü. Schullandschaft umzukrämpeln! Stattdessen aber haben Sie immer wieder Fakten geschaffen, ohne ein schlüssiges Konzept als Grundlage zu haben.
Und aus diesem Grunde läuft Ihr Versuch, die Verantwortung für die heutige Situation der alten LR in die Schuhe zu schieben, auch völlig ins Leere.
Nein, angesichts Ihres Totalumbaus des ba-wü Schulsystems wäre es Ihre Pflicht gewesen, eine konzeptionelle Planung mit den Betroffenen vor Ort zu erarbeiten, bevor Sie Ihre zahlreichen Baustellen im Bildungsbereich eröffnet haben.
Herr Minister Stoch, Sie haben ausgeführt, dass es drei Anlässe gibt, anhand derer vor Ort ein regionaler Schulentwicklungsprozess ausgelöst wird.
Nämlich 1., wenn eine neue Schule eingerichtet wird. 2. Wenn Kommunen sagen, wir wollen einen Regionalen Schulentwicklungsprozess machen. Und 3. bei der konkreten Gefährung eines Schulstandorts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: Das war’s! Und mehr kommt auch nicht.
Alle drei Punkte bzw. Anlässe sind doch pure Selbstverständlichkeiten!
Wo ist denn eigentlich der konkrete Neuigkeitswert Ihres heutigen Konzepts zur bisherigen Situation?
Das von Grün-Rot heute vorgestellte Konzept ist keinesfalls ein großer Wurf, sondern bestenfalls ein halbherziges Vorgehen mit der Logik einer Einbahnstraße.
Sie geben den Verantwortlichen vor Ort eben keine echte Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit, sondern Sie übertragen den Verantwortlichen vor Ort lediglich die schwierige Entscheidung über die Schließung eines Schulstandorts.
Dabei wollen Sie aber den Anschein erwecken, die Verantwortlichen vor Ort seien eingebunden worden, selbst dann, wenn in Wirklichkeit das Land die Schule schließt.
Dabei hätten Sie es eigentlich besser wissen können. Ich darf Sie wieder einmal an Ihren eigenen Koalitionsvertrag erinnern. Auf der Seite 9 steht im zweiten Abschnitt zu lesen: „Wir wollen von der Zuweisung nach dem Klassenteilerprinzip auf eine Pro-Schüler-Zuweisung von Lehrerstunden umstellen.“ Zitat Ende.
Hätten Sie dieses Prinzip auf Ihr heutiges Konzept angewandt, hätte ich Ihr Konzept als mutig und zukunftsweisend gelobt. Mutig und zukunftsweisend wäre es gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Innerhalb einer Region, eines Landkreises gibt es soundso viele Schüler, was die Menge x an Zuweisungen mit sich bringt. Hierbei könnte man auch noch den ländlichen Raum berücksichtigen.
Denn dann würden sich alle für Bildung Verantwortlichen vor Ort an einen Tisch setzen und würden eigenverantwortlich über die Verwendung des Bildungsbudgets entscheiden.
So würden diese ein vor Ort passendes Bildungsangebot gestalten können, statt einfach nur über Schulschließungen zu entscheiden, wie Grün-Rot es nun vorschreibt.
Das wäre konsequenter, das wäre mutiger gewesen und hätte einer freiheitlichen Bildungspolitik entsprochen, die dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet ist.
Ein weiterer Punkt: Entgegen Ihrer Ankündigung, nicht dirigistisch vorgehen zu wollen,schreiben Sie in Ihrem Konzept ganz klar vor, wohin die Reise der ba-wüSchulen gehen soll, nämlich Sie wollen eine „Zwei-Säulen-Schulstruktur“.
Entscheidend und entlarvend dabei ist aber, dass diezweite Säule nach Ihren Vorstellungen immer nachintegrativen Strukturen ausgerichtet sein soll, d.h.:
Sie haben Ihr Ziel immer noch nichtaufgegeben, dass die zweite Säule letztlichIMMER die Gemeinschaftsschule sein soll. Sie müssen es den Menschen aber offen undehrlich sagen, dass aus Ihrer Sicht fürHauptschulen, Werkrealschulen und Realschulenin Ba-Wü mittelfristig kein Platz mehr ist.
Meine Damen und Herren, es muss doch wie Hohn in den Ohren derKolleginnen und Kollegen an den Schulen klingen, wenn diebestehenden Schularten es als Chance begreifen sollten, ihrepädagogischen Konzepte „auf stärker differenzierende Lernmethodenhin auszurichten.“, wie Sie, Herr Minister, dies soeben gesagt haben.
Als ob es an unseren Schulen bisher keinedifferenzierenden Lernmethoden gegeben hätte!
Außerdem setzen Sie nun ein neuen Hebel an, um IhrLieblingskind GMS auch gegen Widerstände weiter auszubauen:
So betonten Sie, Herr Minister Stoch, anmehreren Stellen Ihrer Rede die „Erreichbarkeit von Bildungsabschlüssen“.
Übersetzt auf Deutsch heißt das konkret: An der Gemeinschaftsschule werden alle Abschlüsseangeboten, somit besteht für die nahe gelegeneRealschule keine Daseinsberechtigung mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Landtagsfraktion wird sich auch weiterhin mit aller Kraftfür den Erhalt und die Fortentwicklung unserer erfolgreichen Realschulen im Land einsetzen.
Dass Ihr Konzept unausgegoren ist, eben kein großer Wurf, zeigt sich auch an weiteren Punkten:
1. Die beruflichen Schulen bleiben weitestgehend außen vor, als wären sie nicht ein elementarer Bestandteilunseres Bildungswesens. Diese teilweise Ausgrenzung der beruflichen Schulen halten wir für falsch.
2. Auch klammern Sie komplett die G8/G9-Problematik aus, die die Menschenim Lande aber wirklich bewegt, statt unseren Vorschlag zu berücksichtigen.
3. Wesentliche Weichenstellungen im Bereich „Inklusion“ oder „Ganztagesschule“ haben Sie nicht vorgenommen,obwohl gerade diese Fragen für die Gestaltung des Schulangebots vor Ort ganz entscheidend sind.
Und beim einzig konkreten Punkt Ihrer Rede, HerrMinister, nämlich der Frage der Schulmindestgröße,zeigen Sie, dass Sie den Verantwortlichen vor Ortkeine Entscheidungsfreiheit geben wollen. Denn sonst hätten Sie eine Möglichkeit der flexiblenAusgestaltung vor Ort eingeräumt und damit vielenStandorten eine Perspektive geboten.
In diesem Zusammenhang teilt die FDP die Kritik des ba-wü Gemeindetags an den grün-roten Plänen.
Nach Auffassung des Gemeindetags ist dieZahl 40 eine politische Festlegung und etwamit der seit langem angewendeten Mindestzahlvon 16 Schüler pro Klasse nicht in Einklang zubringen. „Die stabile Zweizügigkeit reicht alsKriterium aus“, so der Präsident Roger Kehle.
Das ist exakt die Position, für die dieFDP-Landtagsfraktion auch in dervergangenen Legislaturperiode gekämpft hat.
Wenn Sie, Herr Minister Stoch, bei Ihrer politisch,am Reißbrett festgelgten Zahl bleiben, so werdennach Angaben des Gemeindetags in absehbarerZeit alle verbliebenen 862 Haupt- undWerkrealschulen geschlossen werden.
Und in der Tat stellt sich doch die Frage der Glaubwürdigkeit, wenn Sie Herr MinisterStoch bei der Genehmigung der Gemeinschaftsschulen die eigenen Maßstäbe adabsurdum führen. Unter den 86 künftigen Gemeinschaftsschulen sind 25 einzügige.
Herr Minister Stoch, in der Presse wurde Ihre heutige Regierungserklärungbereits vor Tagen als Ihr „Gesellenstück“ angekündigt. Nun, bisher war die Bildungspolitik der neuenLR ganz wesentlich grün dominiert.
— Die GMS ist in erster Linie eine grüne Schule.
— Die einschneidenden Sparvorgaben imBildungsbereich sind ein Projekt aus demStaatsministerium, also ebenfalls grün angestrichen.
— Und beim Thema G8/G9 haben sichebenfalls die Grünen durchgesetzt.
Es waren also v. a. grüne Bildungsprojekte, an denen IhreVorgängerin Gabriele Warminski-Leitheuser krachend gescheitert ist.
Herr Minister Stoch, die Regionale Schulentwicklungsplanung hätte inder Tat Ihr Gesellenstück werden können, mit dem Sie sich von dergrünen Dominanz im Bildungsbereich hätten freischwimmen können. Sie sind aber an Ihrer Halbherzigkeit und an der Angst vor der eigenen Courage gescheitert.
Ihre Aufgabe war es, eine echte Regionale Schulentwicklungsplanungvorzulegen, die diesen Namen auch tatsächlich verdient hat. Abgeliefert haben Sie aber heute ein zentralesSchulschließungsprogramm mit Beteiligungsfeigenblatt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!