Stuttgart: Grün-Rot will die Gemeinschaftsschule einführen. Dazu sprach ich im Parlament:

„Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren,

für einen Liberalen lautet die alles entscheidende Frage in der Bildungspolitik: Wie lassen sich durch Bildung möglichst viele Chancen für den Einzelnen eröffnen? Auf dieses Ziel werden wir uns vermutlich auch über Parteigrenzen hinweg verständigen können. Woran sich die Geister jedoch scheiden, ist die Frage, auf welchem Weg zusätzliche Chancen entstehen. Die Landesregierung plant nun eine Gemeinschaftsschule einzuführen, in der es keine Klassen, sondern bunt gemischte Lerngruppen gibt. Schüler mit Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialempfehlung sitzen hier zusammen, und der Lehrer bzw. die Lehrerin unterrichtet synchron nach drei Bildungsstandards, eben für Hauptschule, Realschule und Gymnasium.

 

Meine Damen, meine Herren, das kann funktionieren, z. B. bei gut vorbereiteten Arbeitsblättern im Rahmen von Freiarbeit. Aber wie verhält es sich, wenn der Lehrer doch einmal etwas an der Tafel erklären muss? Spätestens hier stößt die Binnendifferenzierung an ihre Grenzen und riskiert, sowohl die stärkeren als auch die schwächeren Schüler nicht mitzunehmen. Ich möchte mich hier nicht falsch verstanden wissen: Es gibt zweifelsohne eine Vielzahl von Konzepten, Lehrkräften und Schulen auch in unserem Land, die mit heterogenen Lerngruppen hervorragend umzugehen verstehen. Diese Konzepte bereichern die Angebotsvielfalt und geben wertvolle Impulse für unser Schulwesen. Bei Ihnen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von grün-rot, geht es doch um etwas ganz anderes: Sie meinen, man müsse nur einfach alle Schüler eines Jahrgangs in eine Lerngruppe pferchen, dann würden sich die Chancen schon mehr oder weniger von alleine gleicher verteilen. Meine Befürchtung ist: Wenn Sie sich auf diesem Irrglauben ausruhen und keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen, um jeden einzelnen Schüler seinen Fähigkeiten und Neigungen gemäß zu fördern, werden alle, aber vor allem die Schwächeren, die Leidtragenden sein.

Und deshalb ist es auch völlig unverständlich und unverantwortlich, dass Ihre Koalition bei der neuen Werkrealschule die Kooperation mit den Berufsfachschulen in Klasse 10 kippen will. Dabei hätte gerade dies den Werkrealschülern eine echte Berufsorientierung ermöglicht und ihnen reale Chancen auf einen Ausbildungs- und später einen Arbeitsplatz gegeben. Die FDP/DVP-Fraktion sieht in einem differenziert-gegliederten, vielfältigen und zugleich durchlässigen Schulwesen den besten Weg, um das in der Landesverfassung verankerte Recht eines jeden jungen Menschen „auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung“ (Artikel 11 Abs. 1) zu verwirklichen und jedem eine möglichst individuelle Förderung zukommen zu lassen. Innere und äußere Differenzierung, die Differenzierung innerhalb einer Schülergruppe und die Differenzierung von Gruppen nach Fähigkeiten und Neigungen, gehören nach unserer Auffassung zusammen – wie zwei Seiten derselben Medaille. Und deshalb ist es schlicht nicht glaubwürdig, zum Zweck der verbesserten Binnendifferenzierung die äußere Differenzierung abzuschaffen, wie es das Wunschziel von Grün-Rot ist.

Die Einführung der Gemeinschaftsschule bedeutet einen Angriff auf die Vielfalt der Bildungsangebote in Baden-Württemberg. Nicht ohne Grund beklagen die Lehrerinnen und Lehrer an den beruflichen Schulen, dass die aktuelle Bildungspolitik der Landesregierung dem beruflichen Schulwesen das Wasser abgraben könnte. Das betrifft die dort immer noch unzureichende Lehrerversorgung, aber auch die Konkurrenz in Gestalt der Gemeinschaftsschule. Nebenbei bemerkt, gibt es mit den beruflichen Gymnasien bereits eine neunjährige Alternative zum achtjährigen Gymnasium – also besteht weder eine Notwendigkeit für eine wie auch immer geartete Teilrückkehr zu G 9 noch für eine Gemeinschaftsschule mit dreijähriger Oberstufe. Sinnvoller erscheint es da, die knappen Ressourcen des Bildungsbereichs zunächst einmal für die Beseitigung des strukturellen Unterrichtsdefizits an den beruflichen Schulen zu verwenden, statt kostenträchtige neue und vor allem unnötige Baustellen aufzumachen.

Apropos Ressourcen: Ich befürchte, dass die neue Gemeinschaftsschule durch einseitige Privilegierung dieser Schulart gegenüber allen anderen Schularten durchgesetzt werden soll. Erste Hinweise finden sich in den Eckpunkten: Für die Gemeinschaftsschule gilt der Klassenteiler 28, für die übrigen weiterführenden Schularten bleibt es wohl bei 30, denn die Landesregierung hat sich offenbar klammheimlich vom allgemeinen Ziels eines Klassenteilers 28 verabschiedet. Auch hat die Gemeinschaftsschule wohl Vorfahrt beim Ganztagesschulausbau. Und schließlich spricht der Koalitionsvertrag von einem Innovationspool – auch hier steht zu befürchten, dass er vor allem für diejenigen Innovationen zur Verfügung steht, die ins vorgegebene Weltbild passen. Eine solche Wahlfreiheit, die die Landesregierung ja propagiert, ist alles andere als eine echte Wahlfreiheit. Vielmehr werden gezielt ungleiche Ausgangsvoraussetzungen geschaffen, wenn für die Gemeinschaftsschule mehr Ressourcen pro Schüler zur Verfügung stehen als an den anderen Schularten. Bei näherer Betrachtung erscheint der grün-rote Bürgerdialog gar sehr am goldenen Zügel geführt. Denn wäre es der Landesregierung tatsächlich um mehr Mitsprache der am Bildungswesen vor Ort Beteiligten gegangen, hätte es zahlreiche Möglichkeiten gegeben; beispielsweise mehr Kompetenzen in die Eigenverantwortung der Schulen zu delegieren. Davon war leider nichts zu bemerken.

Meine Damen, meinen Herren, zweifellos ist nichts so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte. Weiterentwickeln und Optimieren sind hier gefragt, aber nicht Totalumbau und Auf-den-Kopf-Stellen. Lassen wir die an unserem Bildungswesen Beteiligten – Lehrer, Schüler, Eltern, Schulleitungen, Schulträger und Weitere – doch einfach einmal ihre Arbeit machen, ohne sie ständig mit immer neuen, und sei es auch mit gut gemeinten, Vorgaben zu behelligen. Trauen wir ihnen zu, dass sie ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen können, und stärken wir ihre Möglichkeiten, eigenverantwortlich zu entscheiden. Bildungspolitik sollte sich darauf konzentrieren und zugleich darauf beschränken, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Kurz gesagt: Wir brauchen mehr Bildung und etwas weniger Politik in der Bildungspolitik!

(Ende erste Runde der Diskussion)

In einigen anderen Bundesländern haben verschiedene Streitparteien in den letzten Monaten so genannte „Schulfrieden“ geschlossen. Da waren auch stets Vertreter Ihrer Parteien dabei, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. Jedenfalls hatte sich wohl bei allen Beteiligten die Einsicht durchgesetzt, dass ein Schulkampf um  die Frage, wer mit seiner Schulideologie gerade Oberwasser hat, herzlich wenig mit der Sicherung und Entwicklung von Qualität in Schule und Unterricht zu tun hat. Im Gegenteil, nicht selten verstellt ja eine Ideologiedebatte den Blick für das Wesentliche. Deshalb kann ich Sie, meine Damen und Herrn von Grün-Rot, nur auffordern, den sinnlosen Schulkampf in Baden-Württemberg gar nicht erst zu beginnen.

Warum gehen wir Liberale bei ihrer Bildungspolitik nicht mit? Man könnte ja auch zu der Meinung gelangen, jetzt soll die neue Landesregierung halt ihre bildungspolitischen Steckenpferde mal ausprobieren. Nein, wir gehen Ihre Bildungspolitik nicht mit, weil Ihre Bildungspolitik in die völlig falsche Richtung geht:

–          Sie wollen die verbindliche Grundschulempfehlung abschaffen, ohne Alternativen zu prüfen und ohne für die zu erwartenden Schülerströme auf bestimmte Schularten Vorsorge zu treffen.

–          Sie wollen das Wiederholen einer Klasse abschaffen, das aus meiner Sicht auch mal hilfreich und im Interesse des betroffenen Schülers sein kann.

–          Auch die Notengebung wird hier und da in Zweifel gezogen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von grün-rot: Auch wenn Sie es sich nur schwer vorstellen können: Die meisten Schüler sind leistungsbereit und wollen sowohl gefördert als auch gefordert werden. Bei Ihren bildungspolitischen Maßnahmen kann man den Eindruck erhalten, dass Sie sich im Bildungswesen grundsätzlich vom Leistungsgedanken verabschieden wollen. Und ich deshalb möchte es an dieser Stelle einmal ganz deutlich aussprechen: Für uns Liberale ist der Appell an und die Förderung von Leistungsbereitschaft bei Schülern keine Körperverletzung, sondern eine zentrale Aufgabe schulischer Bildung. Verlassen Sie deshalb ihre bildungspolitischen Irrwege und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir unser bestehendes, vielfältiges Bildungssystem zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler verbessern können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!